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15.05.2013
Kategorie: Sachsenpokal, 1.Mannschaft, 2012/2013
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Von: Lenny

Sachsenpokalfinale: RasenBallsport Leipzig


Der Chemnitzer FC ließ im Sachsenpokal-Finale gegen RasenBallsport Leipzig seine lautstarken 3.000 Anhänger nahezu auf ganzer Linie im Stich. Vor fast 17.000 Zuschauern im Zentralstadion unterlagen die Himmelblauen dem – wenngleich souveränen – Tabellenführer der Regionalliga. Trotz zweifacher Führung wurde die Partie am Ende – ohne Kampf, ohne Biss, ohne Wille, ohne Einsatz, kurzum: ohne ALLES! – mit 2:4 verloren. Ein Armutszeichen von Versagern…
Ein ehrlich-emotionaler Erlebnisbericht einer entsetzlichen Enttäuschung.

Es ist 19 Uhr, in einer halben Stunde wird das Sachsenpokal-Finale zwischen dem Chemnitzer FC und RasenBallsport Leipzig angepfiffen. Am Eingang zu Sektor C hat sich eine lange Menschenschlange gebildet. Der Grund: Es sind nur zwei Schleusen geöffnet – und dahinter warten vier Herren und zwei Damen, welche die Zuschauer kontrollieren müssen, nicht wollen. Es dauert folglich eine ganze Weile, bis ich ganz vorn stehe, ich übe mich derweil in Geduld und höre, wie die RasenBallsport-Anhänger über „ihre Tradition“ philosophieren. Die einen sprechen von damals, als die „roten Bullen“ den Favoriten aus Wolfsburg aus dem DFB-Pokal gekegelt haben, die anderen verweisen auf die triste Gegenwart nach den beiden torlosen Unentschieden zuhause gegen Lok Leipzig und dem FSV Zwickau. Und zum Schluss gibt es sogar welche, die sich schon auf die ersten Europapokal-Spiele freuen, aber nur in der eigenen Arena, für Auswärtsspiele interessiere man sich eher weniger, so ihre laienhaften Worte.

Zwischen der VW-Stadt und der internationalen Bühne liegen souveräne vier Jahre. Vor mehr als 20 Jahren spielte der Chemnitzer FC gegen Juventus Turin, gegen die „Alte Dame“ aus Italien. Ich war da noch nicht dabei, kann aber auf schon zehn himmelblaue Jahre zurückblicken. Wer einmal in einem falschen bzw. schlechten Film, manchen setzen sogar noch den Begriff „Horror“ davor, mitspielen möchte, der geht zu diesem Produkt. Ich empfehle dies aber keinen.
Langsam aber sicher lichten sich die Reihen. Ich bin bald dran, vor mir werden allerdings noch kleine Jungs, kurze Hose und Shirt tragend und höchstens sechs Jahre alt, genau kontrolliert. Arme auseinander, Taschen leeren, es wird das durchgeführt, was man ansonsten nur in den Gästeblöcken dieser Republik kennt. Bei RasenBallsport scheint es jedoch der Alltag zu sein, überall, in jedem Bereich. Ich durchquere die Schleuse – und werde nicht kontrolliert. Die Tatsache, dass ich Geldbörse, Handy, Stift, Notizblock, Info-Flyer und Postkarten einstecken habe, sorgt dafür, dass der unmotivierte Ordner mich passieren lässt. Nur noch fix den Barcode einlesen – und nach fast einer halben Stunde bin ich endlich im Zentralstadion.

Ich sprinte die Treppen hinauf, suche mir einen freien Bereich. Ich sehe, wie Nebel aufsteigt, ein RB-Lakaie verkündet die Aufstellungen und spricht sich gegen Rabauken aus, welche dem Fussballsport schaden, diesen zerstören, kaputt machen wollen. Als ich das höre, wird mir schlecht, weil RasenBallsport Leipzig selbiges tut. Dem österreichischen Unternehmen von Herrn Dietrich Mateschitz ist alles egal, sie gehen auch über Leichen. Im Vordergrund steht einzig und allein ihr Vorteil, ihr Erfolg. Wenn jemand auf der Strecke bleibt, wird dieser liegengelassen. Zuletzt enthüllte dies die ARD-Reportage „Die dunkle Seite von Red Bull“. Das Getränk kann vielleicht Flügel verleihen, verhindert aber die entsprechende Bruchlandung auf gar keinen Fall. Ich verzichte darauf. Ein Leben lang. Und kann nicht verstehen, wie man zu diesem Verein gehen, wie man bei diesem Verein spielen und damit „blutiges“ Geld verdienen kann. Es ist für mich unbegreiflich, ein Leben ohne Moral und Ethik zu führen.

Schlussendlich sind genau 16.864 Zuschauer im Zentralstadion, ein Großteil davon verpasst den Anpfiff, weil Essen und alkoholfreies Bier wichtiger sind, als die Mannschaft von der ersten Minute an brachial nach vorn zu peitschen. Die 3.000 Mann starke himmelblaue Wand macht dies auf eine beeindruckende Art und Weise anders, besser, weil diese das Herz am rechten Fleck tragen. Nur leider müssen sie heute ohne optische Akzente auskommen: Die angedachte Choreografie wurde wegen Nicht-Verwendung von Brandschutzfolie untersagt. Deswegen sollten nur die bekannten Schwenkfahnen zum Einsatz kommen. Die Gegenseite um die „L.E. Bulls“ präsentierte das einfallsreiche Spruchband „Die Bullen stürmen – der CFC heult“. Dazu schlugen zwei Bullen einen Schlumpf mit himmelblauen Schal, der anschließend Rotz und Wasser weinte, in die Flucht. Mit paar Fahnen wurde ebenfalls gewedelt. Unterm Strich war dieses Intro einem Pokalfinale nicht würdig. Über den Support, welcher danach folgte, lässt sich, so ehrlich bin ich, durchaus streiten. Erschreckenderweise machte ein enorm großer Haufen mit. Zu viele für meinen Geschmack. Denke ich an Fussball-Deutschland in der Nacht, werde ich um meinen Schlaf gebracht.

Es ist laut bei den Bullen, sehr laut, jedoch kontert der CFC-Block, in dem ebenfalls sehr viele zu spät in der Arena waren, postwendend. Nicht mit uns. Tradition verpflichtet: Unser Heimspiel! Und die himmelblaue Mannschaft gab in der 7. Minute die richtige Antwort auf diesen Bullenzirkus. Pfeffer setzte sich wie gewohnt mit einem Übersteiger durch, flankte flach zum Elfmeterpunkt, wo Makarenko diesen Moment wunderbar antizipierte und den Ball über die Linie schob. Es wurde laut. Auf der richtigen Seite. Und dort blieb es auch so, während die anderen wie vom Blitz getroffen schwiegen, ruhig blieben, kurzzeitig nicht wussten, was geschehen ist, was sie nun machen mussten. Die Himmelblauen waren zu diesem Zeitpunkt Herr im Haus, nur gab die Elf auf dem Feld diesen Vorteil – aus meiner Sicht viel zu leichtfertig – aus der Hand. In der Folgezeit spielte nur eine Mannschaft – und das war RasenBallsport, weil der neu formierte Chemnitzer FC zu passiv, zu zimperlich auftrat. Sie ließen die Hausherren brillieren, bettelten förmlich um den Ausgleicht. Nur sollte dieser nicht fallen, zumindest vorerst nicht, weil Pentke jede Chance zu vereiteln wusste. Nach 40 Minuten war er dann aber machtlos. Rockenbach da Silva setzte sich gegen den sehr schwachen Bankert durch und hämmerte aus spitzem Winkel den Ball unhaltbar in den Winkel. Ein Tor, welches die Stimmung bei den Bullen in die Höhe trieb. Die Partie drohte zu kippen – und das massiv.

Nur kam es dazu nicht, weil der Chemnitzer FC sofort die passende Antwort parat hatte. Ein weiter Abstoß von Pentke landete bei Jansen, der das Kopfballduell für sich entscheiden konnte, die Vorlage landete auf dem Schlappen von Fink, welcher bis dato komplett abgemeldet war, jedoch sich diese Chance sich entgehen ließ. Er zog unmittelbar ab – und brachte die Seinigen, unverdienterweise, ein zweites Mal in Front. Wie wir aber alle wissen, ist Fussball bekanntlich ein Ergebnissport, in dem Schönheitspreise nicht vergeben werden. Das 2:1 war mehr als schmeichelhaft, sorgte aber dafür, dass die Bullen wieder zur Räson gebracht wurden. In der Pause gab es ein XXL-Hacksteak, um die knurrenden Magen zu befriedigen. Und damit etwas zur Ruhe bekommen, denn die Partie verlangte einem alles ab. Sie war irgendwie spannend und packend, nur eben nicht ausgeglichen, auf demselben Niveau. Inwieweit die Verletzten Wachsmuth, Stenzel und Semmer sowie Hörnig eine Rolle gespielt haben, möchte ich nicht aussezieren. Fest steht, dass jeder, der das himmelblaue Trikot trägt, alles geben muss – besonders in so einem Finale, gegen so einen deutschlandweit verhassten Gegner. Es muss motivieren, nicht hemmen. In der ersten Halbzeit sah dies alles andere als danach aus. Glücklicherweise blieb uns die Strafe erspart. Vorerst noch.

In der 2. Halbzeit stürmten die Bullen weiter, erspielten sich nach wie vor zu einfach ihre Chancen, ließen aber – und darauf lauerten die Himmelblauen – Konter zu. So wie in der 66. Minute, als der Ball irgendwie auf dem Fuß von Makarenko landete, welcher dynamisch in den Strafraum eindrang, den herausgeeilten Torwart elegant umkurvte und danach aus spitzen Winkel den Ball in Richtung Tor schoss. Die ersten Hände im Gästeblock, der hinsichtlich der Lautstärke nimmermüde wurde, waren schon jubelbereit, allerdings konnte ein Leipziger Verteidiger den Ball – wie er es geschafft hat, ist mir ein Rätsel – von der Linie und zur ersten himmelblauen Ecke ins Aus bugsieren. RasenBallsport dürfte zu diesem Zeitpunkt schon mehr als zehn Ecken gehabt haben. Ein deutliches Zeichen von Überlegenheit.

Und diese zahlte sich in der 70. Minute – nach einem Abseitstor sowie Lattenknaller – aus. Ein harmloser Freistoß kann nicht geklärt werden und kommt über Umwege schlussendlich zu Franke, welcher aus Nahdistanz – und umgeben von sechs himmelblauen Akteuren – Pentke überwindet. Die Arena war danach ein Tollhaus, außer Rand und Band, den himmelblauen Fans, die alles, was in ihren Möglichkeiten stand, gaben, wurde es Angst und Bange. Und das vor allem, weil ihr Team bis auf die drei Chancen nichts auf die Reihe bekommen hatte. Die Zweikämpfe gingen verloren, die Pässe landeten in der Regel beim Gegner, die eigene Hälfte war zumeist das Revier, in dem sie Spalier standen. Elf Minuten später brachen dann alle, aber auch wirklich alle Dämme. Kutschke scheiterte an Pentke. Weiter geht es. Kutschke passt zu Morys, dessen Schuss von Pentke überragend pariert wird. Und es geht immer noch weiter. Der Ball kommt zu Röttger, welcher Birk vernascht und auf den Hosenboden zwingt. Die günstige Schussposition aus 20 Metern nutzt er und drischt mit seinem schwachen linken Fuß den Ball unhaltbar neben den Pfosten.

Die Heimischen jubelten exzessiv, die anderen wussten, welche Stunde schlug, nämlich die der Niederlage, erst Recht nach dem 4:2, an dem Pentke gewaltig mithalf. Aber das war am Ende egal, bei so vielen Fehlern, die gemacht worden sind, kommt es auf einen mehr oder weniger nicht mehr an.

Als der Schlusspfiff ertönte, begann die Bullen-Qual. Mitansehen zu müssen, wie die Fans des Gegners feiern, ist kein schönes Gefühl. Wenn allerdings der Gegner RasenBallsport Leipzig heißt, ist es umso schlimmer. Die Gesichter im Gästeblock sprachen deutliche Worte: Trauer, Wut, Enttäuschung, Hass, Ratlosigkeit, Verzweiflung. Auch einige Tränen kullerten Wangen hinunter. Es war ein perverser Moment, den man nicht erleben will. Am schlimmsten wiegt der Umstand, dass RasenBallsport vollkommen verdient gewonnen hat. Ohne Wenn. Ohne Aber. Ohne die Hilfe des Schiedsrichters. Vielmehr mit eigener Kraft, eigenem Willen, stets das Ziel – Sachsenpokalsieger 2013 – vor Augen. Unterstützung erhielten sie zudem von einer indisponierten Mannschaft des Chemnitzer FC, denen scheinbar die Titelverteidigung und der Einzug in den DFB-Pokal egal gewesen sind.

Als diese zur Kurve kamen, gab es neben Pfiffen auch diverse Verbalaussetzer von einigen wenigen. Viele schwiegen, blickten in die Leere, dachten an nichts, vor allem nicht ans applaudieren. Einzig Pentke wurde Trost gespendet. Der Rest wurde allein gelassen. Zurecht?!

Klipp und klar: Ja, ja, ja, sicherlich wird zusammen gewonnen und verloren, aber das,– Pentke klammere ich, auch weil er im Tor steht, an dieser Stelle bewusst aus –  was sich die anderen erlaubt bzw. vergessen haben, vordergründig Fussball zu spielen, sich zur Wehr zu setzen, kämpfen und so weiter, ist erschreckend und beängstigend. Man fiebert so einem Spiel entgegen, hofft, singt, klatscht, gibt alles – und bekommt dann so eine Leistung geboten. Auch wenn es hart ist, aber die Mannschaft hat versagt, ihre Fans im Stich gelassen. Traurige Wirklichkeit. Leider. Unterhaching am Samstag ist scheißegal – und die Feier nach dem letzten Spiel in der altehrwürdigen Fanhalle hat nur noch einen traurigen Anlass: den Abriss.

Der einzige, der sich über die Niederlage freute, war mein Spätkaufbesitzer des Vertrauens. Aber das hatte einen anderen Grund.

"Die Welt, sie wartet nicht auf Dich.
Das Leben mag Dich einfach nicht.
Wirst überall sein, was Du bist, nicht erwartet, nicht vermisst.

Wir schlafen im Wagen unter den Sternen,
feiern uns, erliegen dem Charme.
Gracias, Monsieur Vaffanculo.
Das Leben ist schön, die Luft ist warm.
Hier wartet man bereits, Fachkraft mit Doktorat,
Ouzo für gute Freunde, Würstchen im Emirat.
Ich steige in Deutschland aus, bin im Besitz der Welt.
„Sharif don't like me“ – in 80 Tagen ohne Geld!
Das ist Scheitern in L.A., das ist Versagen in Madrid.
Wirst überall sein, was Du bist, nicht erwartet, nicht vermisst…“


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