Kategorie: Punktspiel
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Von: Lenny
30 - Hallescher FC (H)
So spät fällt selten ein Ausgleichstreffer: Der Chemnitzer FC kassierte in der allerallerallerletzten Minute gegen den Halleschen FC vor mehr als 6.000 Zuschauern auf der „Baustelle Fischerwiese“ das 1:1. Zuvor hatte Mannschaftskapitän Bankert die Himmelblauen nach einem Eckball in Front gewurstelt. Auf den Rängen wurden derweil alle Register gezogen, unter anderem provozierten die HFC-Anhänger die gegnerischen Fans und den überforderten Schiedsrichter gleichermaßen. Nach einer Rauchbombe folgten eine Spielunterbrechung sowie der Austausch von Pyrotechnik, Feuerzeuge, Worten und Brötchen.
Der Chemnitzer trifft auf den Halleschen FC, ein Ost-Klassiker, ein Zuschauermagnet. Wenn die Euphorie steigt, sichtet man in Chemnitz am Eingang längere Schlangen als sonst. Exakt 6.085 Zuschauer rückten nach Kartenerwerb auf der „Baustelle Fischerwiese“ zusammen, 670 standen davon im ausverkauften Gästeblock, in dem beim Einlauf beider Teams eine kleine Choreografie gezeigt wurde. Am Zaun wurde ein Banner mit der Aufschrift, zugleich Ansage, „Auswärtssieg“ entrollt, die – in Anbetracht der Tatsache, dass der HFC seit mehr als 20 Jahren nicht mehr in Chemnitz den Platz als Verlierer verlassen hat – durchaus ernstgenommen werden musste. Dahinter wedelte eine Vielzahl rot-weißer Fahnen. Überraschenderweise nutzen „Saalefront“ und Freunde diese Chance nicht aus, um pyrotechnische Erzeugnisse abzubrennen. Jedoch soll der die erste bekanntermaßen nicht vor der zweiten Halbzeit gelobt werden…
Im himmelblauen Block wurden mehrere Fahnen geschwenkt sowie sofort mit dem Support begonnen, die HFC-Anhänger zogen kurz darauf nach. Auf den Rasen waren es ebenfalls die Gastgeber. Die in himmelblauen Trikots spielenden Himmelblauen, bei denen Mauersberger für den verletzten Garbuschewski in die Mannschaft kam und hinter den Spitzen eine akzeptable Leistung darbot, beginnen druckvoll. Die ersten Chancen hatte allesamt der heute sehr agile Hofrath. Via Standardsituationen. Ein direkter Eckball wird gehalten und ein Zwanzig-Meter-Freistoß zu hoch angesetzt.
Halle steht erwartungsgemäß defensiv und setzt auf überfallartig vorgetragene Konter, der erste wäre beinahe vom Erfolg gekrönt gewesen, doch Pentke konnte glücklicherweise mit einer Fußparade klären. Den folgenden Eckball köpften die Hallenser vorbei. Stimmung war auf beiden Seiten gut, allerding ist die Position beider Szenen suboptimal, um sich richtig duellieren zu können, schließlich sieht man sich nicht. Dessen ungeachtet war es ein spannendes Ost-Derby, sowohl auf dem Feld als auch auf den Rängen.
Es wird laut im Rund, Ziebig holt Stenzel von den Beinen – und alle fragen sich, wo das war. Im Strafraum?! Außerhalb?! Hmm… Der Schiedsrichter verlagerte den Zweikampf nach draußen – und handelte bei dieser Entscheidung richtig. Den anschließenden Freistoß setzt wiederum Hofrath zu hoch an. Torlos ging es in die Pause, ehe nach dem Seitenwechsel das spielerische Geschehen für sechs Minuten in den Hintergrund rückte. Zuvor hatte Mauersberger einen Distanzschuss abgegeben, der das Tor knapp verfehlte. Währenddessen stieg im Gästeblock schwarzer Rauch auf, zudem wurde die vor einem Jahr geklaute Auswärtsfahne der „Sektion Oberbayern“ präsentiert. Wohlgemerkt von Lokisten, die – gut erkennbar an ihren blau-gelben Sturmhauben – sie zerreißen und anbrennen. Derweil reagieren die ursprünglichen Fahnen-Besitzer, vielmehr aber die himmelblauen Gerechtigkeitsfanatiker, die den Zaun besteigen und sich auf den Weg zu den Gästen aufmachen. Zum Teil steht man sich so nah gegenüber, dass ein kurzer Schlagabtausch möglich gewesen wäre, allerdings wurde einen Tick zu lange darüber nachgedacht, sodass die Security die Lage auf deeskalierende Art und Weise beruhigte. Die verbalen Auseinandersetzung ging jedoch ununterbrochen weiter, zudem flogen schwarze Rauchtöpfe durch die Gegend sowie, wenn ich das richtig gesehen habe, eine Leuchtspur. Alle Zaunfahnen wurden daraufhin schnell abgenommen. Als sich die Lage, mehr oder weniger, wieder beruhigt hat, setzte der Schiedsrichter die Partie fort. Die Security positionierte sich vor dem Block.
Mit einem taktischen Foul an Pfeffer in Höhe der Mittellinie kochten anschließend auch bei den Spielern die Emotionen über. Es kam zu einer Rudelbildung, weiterhin wurden gelbe Karten verteilt. Der Chemnitzer FC war zu diesem Zeitpunkt die bessere Mannschaft: Kegel schlug aus der eigenen Hälfte einen weiten Ball nach vorn, der beim eingewechselten Pusch landete, der diesen wunderbar vom Himmel pflückte, über seinen Gegenspieler lupfte und schlussendlich hart abzog und einen Eckball herausholte. Hofrath schlug diesen, Pusch, wiederum beteiligt, köpfte zu Fink, der in die Mitte schoss, wo Mannschaftskapitän Bankert den Ball erst unabsichtlicherweise an seine Hand und dann ins Tor schoss. Egal, Tor ist Tor, der Ball zappelt im Netz! Und alle drehen durch. Die Spieler fallen über Bankert her, selbst Pentke ist der Weg aus dem Kasten nicht zu weit. Auf den Rängen wurde es energetisch: „Chemie-Schweine-Raus!“ – Mehr denn je.
Die HFC-Fans versuchten ab und an noch für Stimmung zu sorgen, allerdings war nach den Geschehnissen kurz nach der Pause irgendwie die Luft raus. Die gewohnte Unterstützung fehlte und deren Mannschaft die Mittel, um die Himmelblauen unter Druck zu setzen. Die spielten weiter nach vorn, um die Hallenser vom eigenen Tor fernzuhalten. Kegel kassierte erst seine zehnte gelbe Karte, danach hämmerte er den Ball an den Querbalken! Die Vorentscheidung – und das wäre sie zweifelsfrei gewesen – wurde leider vertagt. Stattdessen wurde Halle in der Schlussphase besser, wesentlich besser – und schlussendlich dafür belohnt. Erst scheiterte man kläglich, danach parierte Pentke prächtig, danach fiel ein Abseitstor, das eines war – und in der 99. Minute schlägt der eingewechselte Sembolo eiskalt zu, weil Pusch nicht in den Zweikampf findet und Bankert seinen Gegenspieler aus den Augen verloren hat. Das darf nicht wahr sein!
Halle oben auf, deren Fans auf den Zaun, deren Reaktionen klar, wer zuletzt lacht und so weiter. Anpfiff, vier himmelblaue Ballkontakte, Abpfiff. Verdammt, das ist bitter! Und produziert Wut: 50 himmelblaue Wut-Bürger springen vom Zaun und rennen zum Gästeblock, kehren allerdings sofort wieder um, als eine Polizisten-Meute ihnen entgegenläuft. Tor zum Block auf, und alle schlüpfen hinein. Außerhalb des Stadions wurden hinterher noch einige Nettigkeiten ausgetauscht.
Kaum zu glauben, aber leider Gottes doch wahr: Der Einsatz von Pyrotechnik sorgt für den Punktgewinn der Hallenser, besiegelt in der 99. Spielminute. Unfassbar. Ohne Worte. Unglaublich. Dessen ungeachtet bleibt der Chemnitzer FC erneut ungeschlagen, und das seit nun mehr schon fünf Liga-Spielen. Am kommenden Mittwoch geht es nach Münster.
„Alles, was ich über Pflicht und Moral weiß, verdanke ich dem Fußball...“ – das heutige Spiel zeigte die andere Seite der Medaille.
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